Stadtachter 2025

Nur Liebe für ein Boot, das mit geschlossenen Augen besser fährt als mit offenen.

Es begann, wie so viele Dinge im ARV Kiel. Mit einer Idee, ein bisschen Übermut und einer überfüllten Anmeldeliste. Das Ziel: Erster Platz beim Kieler Stadtachter zur Kieler Woche. Die Regeln: 8 Rudernde, eine Steuerperson, 1000 Meter und alles geben.

Der Stadtachter ist so etwas wie das inoffizielle Klassentreffen der Kieler Rudervereine. Jedes Jahr am Mittwochabend der Kieler Woche trifft sich alles, was in der Stadt einen Riemen halten kann, um über eine Strecke von 1000 Metern auszutesten, wer das meiste Wasser unterm Kiel hat.

Dass sich schnell acht Rudernde und drei motivierte Steuerleute fanden, war weniger verwunderlich. Immerhin war die Motivation auf ein gemeinsames Ruderprojekt und den damit einhergehenden Wettkampf von Anfang an hoch. Was jedoch als Truppe mit viel Begeisterung und wenig Rennbooterfahrung begann, wurde Woche für Woche zu einer echten Mannschaft. Frühtrainings wurden zur Routine, Technikansagen zu unserer Morgenmeditation und Kiel bewies auch den letzten zweifelnden Ruderern, dass der Ausdruck „cutting glass“ manchmal eben auch auf unsere geliebte Förde zutreffen kann. Hinzu kam das magische Gefühl bei traumhaftem Himmel um 5 Uhr morgens Schweinswale direkt neben dem Boot atmen zu hören.

Ein ganz besonderes Element unseres diesjährigen Stadtachter waren dabei unsere drei Steuerleute, die sich artig abwechselten und dem Boot jeweils eine ganz eigene Note verliehen.

Da wäre zum einen Liam, der eigentlich viel zu groß für den Steuersitz ist aber das Einschlafen seiner Beine mit einer stoischen Gelassenheit und gewisser Hornhautbildung am Rücken ertrug. Er untermalte unsere Wenden ein ums andere Mal mit einem Mix aus schmerzhaft klingenden Stöhnlauten und verunsichertem Lachen, was gerade zu Beginn bei einigen im Boot zu großer Erheiterung führte.

Lucie brachte mit ihrer ansteckenden guten Laune jeden Morgen einen Hauch Sonne in die Bootshalle und spätestens bei ihrem fröhlichen Gekicher in die Coxbox war bei allen die frühe Uhrzeit vergessen. Sie steuerte unser wohl welligstes Training und konnte danach erfreut feststellen, dass ihr Trainingsplan-Zettel bis zur Position 6 im Boot geschwommen war.

Und zuletzt war da Jules. Als erfahrenste und wohl auch effizienteste Steuerperson forderte sie uns mit ihren Trainingseinheiten mehr als einmal heraus. Die berüchtigten 6x500 Meter ließen so manchen an der eigenen Fitness zweifeln und schufen gleichzeitig die Grundlage für das, was noch kommen sollte.

Und neben den Fortschritten in der Rudertechnik und dem Kraftaufbau entwickelte sich in diesen Wochen vor allem ein Teamgeist, der uns zusammenwachsen ließ. Bei zahlreichen gemeinsamen Frühstücken mit einer teils beängstigenden Menge an verzehrtem Kaffee wurde über das Leben, das Rudern und alles dazwischen geredet. Und auch wenn Jules laut eigenen Aussagen wohl nun den Preis dafür zahlt, dass sie nach dem Training nicht nur für einen kurzen Kaffee, sondern gleich fürs ganze Frühstück blieb, war es das wert. Zumal sie stolz von sich behaupten kann als ältestes Teammitglied trotzdem das Technikaffinste zu sein, da sie während des Frühstücks die Coxbox-Daten auswertete, als hätte sie die Coxbox entwickelt. Für uns alle wurde das regelmäßige Achtertraining somit zu einem Fixpunkt im Sommersemester und zu einer Erfahrung die weit über den sportlichen Rahmen hinausging.

Und dann kam nach ungefähr 10 Wochen hartem Training der Tag des Rennens. Und der hatte alles zu bieten, was man sich wünscht aber auch eben das, was man nicht bestellt hat. Die Sonne schien, das Wasser war deutlich besser als für einen Mittwoch während der Kieler Woche erwartet wurde und wir hatten genug Zeit uns ordentlich warm zu fahren. Doch während wir bereits am Start standen und bereit waren alles zu geben, kreuzten zahlreiche Segelboote unsere Strecke, die auch nach mehrfachem Auffordern den Bereich nicht verließen. Und während uns allen die Kälte in die Knochen kroch, blieb die Nervosität konstant hoch. Nach 30 Minuten schaffte es die Wasserschutzpolizei schlussendlich die Strecke zu räumen, unserem Start stand nichts mehr im Weg. Was dann geschah, ist für die meisten wahrscheinlich eher ein Gefühl als eine klare Erinnerung. Die ersten Schläge, ein inneres Mantra von unserer Bugperson jetzt bloß mit ordentlicher Technik zu fahren und ja keinen Krebs zu fangen. Der Mittelsprint wurde synchron mitgezogen und die Renntrance verließ uns schlagartig, als drei riesige Wellen des WaSchPo-Bootes über dem Bug zusammenschlugen. Und doch blieben wir stabil, hatten Fokus, ruderten weiter als wäre nichts gewesen und zogen so im Schlusssprint mit einer Bugballlänge am EKRC vorbei. Nicht zuletzt auch weil Liams Ruf „Wir sind vorne!“ für mehr Energie sorgte als Koffein jemals schafft. Ob dieser Ruf jetzt gelogen und ausschließlich motivierend gemeint war, kann sich wohl nicht mehr nachvollziehen lassen.

Was uns diesen Sieg gebracht hat, war letztendlich aber nicht nur die Kraft oder Technik, sondern der gemeinsame Wille, bis zum letzten Schlag alles zu geben. „Es gibt immer noch einen Gang“, hatte Jules gesagt. Und wir hatten ihn gefunden.

Besetzung des Achters vom Bug aus: Vivien Zimmermann, Lena Waldraff, Simon Müller, Daniel Gombert, Erik Schreiber, Leif Kühl, Franziska Hill, Ella Dieball, St. Liam Boddin.

Besonders schön während des Rennens war Jules unermüdliches Durchhaltevermögen, als es darum ging die ARV-Fahne am Steg zum Anfeuern zu schwenken. Der Jubel, der uns schon ab der Hälfte der Strecke erreichte und der bis zum Zieleinlauf nicht mehr nachließ. Der Livestream unseres Rennens auf Instagram, um vor allem unserer Weltenbummlerin Lucie ein bisschen Regattafeeling in den Van mitzugeben. Und Leif der nach dem Rennen sogar von den Kieler Nachrichten interviewt wurde. Leif, du bist berühmt!

Wenn wir nun auf diesen Sommer zurückblicken, erinnern wir uns nicht nur an das Rennen, sondern auch an die unzähligen kleinen Momente. An Eriks Geräusche beim Tragen des Bootes, die irgendwo zwischen Stöhnen, Ächzen und Lebensfreude lagen. An Lucies Übungsideen, die jedes Training neu machten. An Schweinswale, die direkt neben uns auftauchen und an die Fähigkeit mit großer Müdigkeit trotzdem noch den Tag zu überstehen.

Für uns war dieser Stadtachter mehr als eine Regatta. Es war eine Reise vom ersten wackligen Training bis zum souveränen Zieleinlauf. Vom Einzelkämpfer zur Mannschaft. Vom Sonnenaufgang bis zur Siegerehrung. Und auch wenn der Laktat-Husten und die schmerzenden Unterarme längst vergangen sind, bleibt das Gefühl gemeinsam etwas geschafft zu haben und ein Boot voller Erinnerungen.

Vivien Zimmermann